Gerichtsentscheidungen zu Belästigungsvorwürfen fallen leider mitunter relativ willkürlich aus, was auch daran liegt, dass in den Grenzbereichen des „neuen“ Sexualstrafrechts seit 2016 relativ wenig obergerichtliche Entscheidungen verfügbar sind. Es ist sehr gefährlich, einem solchen Vorwurf als Beschuldigter oder Angeklagter ausgesetzt zu sein, da die Gefahr eines falschen oder sogar willkürlichen Urteils hier besonders hoch ist.
Zwar liegen die Beweisprobleme beim “sexuellen Übergriff” und der “sexuellen Belästigung” auf der Hand, insbesondere wenn es wie häufig Aussage gegen Aussage steht. Man wird ein Urteil kaum schon darauf stützten dürfen, wessen Geschichte „irgendwie plausibler“ ist. Schon deshalb sind die durch eine unsachliche Mediendebatte geschürten öffentlichen Erwartungen an eine höhere Verurteilungsquote naiv – und sehr gefährlich. Gerade in solchen Fällen werden erfahrungsgemäß aber nicht wenige Gerichte entgegen dem Gesetz im Zweifel eher gegen den Angeklagten als für ihn entscheiden. Denn leider sind auch die Gerichte nicht immun gegen die in den letzten Jahren immer aggressiver und unsachlicher betriebene mediale und gesellschaftliche Vorverurteilung echter und vermeintlicher “Sextäter”.
Was viele nicht wissen: Es ist einem Gericht in objektiv zweifelhaft erscheinenden Fällen durchaus möglich, den Angeklagten dennoch zu verurteilen!
Allerdings muss das Gericht zumindest in nachvollziehbarer Weise aus den in der Gerichtsverhandlung unter Beweis gestellten äußeren Umständen des Falles auf den objektiv erkennbar entgegenstehenden Willen des Opfers und vor allem auch den Vorsatz (Täterwillen) des Angeklagten schließen und dies Alles im schriftlichen Urteil rechtsfehlerfrei darstellen und begründen. Dies ist keine einfache Aufgabe und anfällig für eine Aufhebung des Urteils in der Berufung oder Revision, weshalb eine wohlüberlegte und gute Verteidigungsstrategie notwendig ist, um das Gericht an die überragende rechtsstaatliche Bedeutung des Grundsatzes “im Zweifel für den Angeklagten” zu erinnern.
Die Gründe für Verurteilungen und/oder Strafhöhen im Sexualstrafrecht sind leider nicht immer sachgerecht, sondern leiten sich nicht selten her aus einer falschverstandenen Schutz-Hysterie und einem sehr hohen gesellschaftspolitischen Verurteilungsdruck. Gleichzeitig drohen dem Beschuldigten einer Sexualstraftat aber auch schwere außergerichtliche Konsequenzen, wie öffentliche Bloßstellung, Aufnahme in polizeiliche “Sextäter-Karteien”, eine langjährige Eintragung ins Führungszeugnis oder gravierende Auswirkungen auf Berufs- und Privatleben sowie bei Konsequenzen bei Auslandsaufenthalten (USA). Viele der gesellschaftlichen Nachteile mit veritabler Prangerwirkung bleiben selbst dann bestehen, wenn das Verfahren mit einer Einstellung oder einem Freispruch endet – “es könnte ja trotzdem etwas dran sein”, heißt es dann gerne in einer geradezu perversen Umkehrung der Unschuldsvermutung.
Ein zentraler Punkt für die erfolgreiche Freispruchverteidigung bei Falschbeschuldigungen liegt darin aufzuklären, ob es sich bei der Anzeige um eine planvolle Lüge handelt, ein zwar subjektiv als wahr aber objektiv falsch erinnertes Fehlverhalten, um eine „Notlüge“ aus sozialem Rechtfertigungsdruck oder um das Ergebnis intensiver Beeinflussung. Nicht selten ist es gar eine Kombination aus all diesen Faktoren, fast immer verbunden mit der verhängnisvollen Haltung, dass der Beschuldigte eine Bestrafung „verdient“ habe – letzteres oft auf Grundlage strafloser, aber als Kränkung oder moralisch verwerflich empfundener Ereignisse.
Bei der Mehrheit an falschen Belästigungsvorwürfen handelt es sich aber um Irrtümer oder Missverständnisse. Wegen zahlreichen Fehlerquellen in der Kommunikation und stark abweichenden persönlichen Moral- und Grenzvorstellungen im zwischenmenschlichen Bereich kann letztlich keine starre Grenze zwischen straflosem Verhalten und strafbarer Belästigung gezogen werden.
Grundlage für die Strafverfolgung in solchen Fällen sind dann oftmals entweder falsche Schlussfolgerungen des Opfers oder der Strafverfolgungsbehörden, unterschiedliche individuelle Grenzziehungen für „noch akzeptables“ Verhalten und manchmal auch schlicht der Wunsch, vermeintlich „Anstößiges“ zu bestrafen. Typische Fälle sind dabei angebliche „Belästigungen“ am Arbeitsplatz bei denen erwiderte Komplimente falsch verstanden werden, missglückte Annäherungsversuche in einer zunächst zugewandten Stimmung, als unpassend empfundene verbale Anzüglichkeiten („Catcalling“), irrtümliche Bewertungen eigener Wahrnehmungen (nackter Badegast als „Exhibitionist“ angezeigt) oder auch Verwechslungen, gerade auch im Zusammenhang mit Feiern und Alkohol (wenn etwa in einer unübersichtlichen Partysituation die falsche Person als als vermeintlicher Grapscher „wiedererkannt“ wird).
Kurzum: Die Zahl an Fallbeispielen, in denen sich das vermeintliche Opfer sexuell angegriffen „fühlt“, der Beschuldigte dies aber entweder nicht erkannt oder nicht beabsichtigt hat, ist schier grenzenlos. Oft ist die Ursache für die Strafanzeige fehlgeleitete Kommunikation, mitunter auch ein moralisches, aber strafloses Fehlverhalten.
Auch wenn der Beschuldigte sich in diesen Fällen oft gar nicht strafbar gemacht hat, ist die Gefahr derartiger Vorwürfe ganz und gar nicht zu unterschätzen! Häufig leiten Polizei und Staatsanwaltschaft zunächst ein aufwändiges strafrechtliches Ermittlungsverfahren ein, bei welchem Bekannte, Arbeitskollegen und andere Personen aus dem Umfeld des Beschuldigten und des vermeintlichen Opfers befragt werden. Bereits der Vorwurf einer sexuell konnotierten Straftat kann sich dabei als sozial und beruflich existenzvernichtend erweisen.
Umgekehrt kann es aber auch zu erheblichen Beweisproblemen auf Seiten des Beschuldigten kommen, gerade dann wenn – wie im Sexualstrafrecht oft üblich – vorangegangene Avancen, gegenseitiges Interesse oder eine sonstige sexuelle Annäherung erfolgte, aber dies nicht bewiesen werden kann – weil es Aussage gegen Aussage steht und die andere Person dies abstreitet, anders wahrgenommen oder missverstanden hat!
Dabei darf nicht unterschätzt werden dass bereits verhältnismäßig „harmlose“ Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens zu erheblichen beruflichen Problemen führen können. So ist die rein verbale sexuelle Belästigung, z. B. durch sexistische Witze oder anzügliches Hinterherrufen („Catcalling“) zwar (noch) nicht strafbar, so dass zumindest keine Freiheitsstrafen oder langjährige Eintragungen ins Führungszeugnis drohen. Anders sieht es aber mit den drohenden arbeitsrechtlichen Folgen aus: Auch strafrechtlich neutrales Verhalten kann im Beruf schwere Folgen haben, oft genügt bereits der bloße Vorwurf für eine vorschnelle „Verdachtskündigung“.